Das nachfolgende Schema fasst die EKG-Veränderungen bei linksventrikulärer Hypertrophie zusammen. Frühes Zeichen ist eine durch die erhöhte linksventrikulären Masse bedingte Zunahme der R-Amplitude. Der Effekt wird durch eine Verschiebung der QRS-Achse nach links und eine Annäherung des hypertrophierten Herzens an die Brustwand verstärkt. In Zusammenhang mit einer reduzierten koronaren Perfusionsreserve und subendokardialen Ischämien resultieren T-Wellen-Veränderungen (zunächst T-Abflachung, später eine T-Negativierung). Der im Verlauf zu beobachtenden Verbreiterung des QRS-Komplexes (bis hin zum Bild des kompletten Schenkelblocks) liegt in erster Linie eine progrediente Fibrosierung des Myokards zugrunde, die nur gering mit dem linksventrikulären Massenzuwachs korreliert.
Diese in Zusammenhang mit einer Hypertrophie auftretenden Myokardveränderungen werden heute unter dem Begriff ventrikuläres Remodeling bei Hypertrophie zusammenfasst.
Das nachfolgende Schema zeigt, dass die EKG-Veränderungen bei linksventrikulärer Hypertrophie ein Kontinuum bilden. Man sollte sich diese typischen Veränderungen merken.
Abb.: Linkspräkordiale EKG-Veränderungen bei progressiver linksventrikulärer Hypertrophie (V6). Frühestes Zeichen ist eine Zunahme der R-Amplitude. Die T-Welle wird flacher und schließlich negativ. Bei der Verbreiterung des QRS-Komplexes spielen sowohl die Zunahme der linksventrikulären Massen, als auch Fibrose eine wichtige Rolle. Schließlich bildet sich ein Linksschenkelblock aus.
Bei der EKG-Diagnostik der linksventrikulären Hypertrophie im Alltag spielen Indexe und Scores eine wichtige Rolle. Zu den häufig genutzten Indexen gehören der Lewis-Index und der Sokolow-Lyon-Index, die beide die Amplituden von R bzw. S in unterschiedlichen Ableitungen berücksichtigen. Das häufig benutzte Cornell-Produkt berücksichtigt zudem die QRS-Dauer.
Zu den ebenfalls für eine Hypertrophie sprechenden Parameter, die aber eine geringer Sensitivität und Spezifität haben als die genannten QRS-Kriterien, gehören:
Ein relativ komplexer Score, der die unterschiedlichen Parameter bzw. Aspekte der Hypertrophiediagnostik mittels EKG berücksichtigt, ist der Romhilt-Estes-Score.
Tab.: Romhilt-Estes-Score für eine linksventrikuläre Hypertrophie. Die maximale Punktzahl beträgt 13; eine linksventrikuläre Hypertrophie sehr wahrscheinlich bei mindestens 5 Punkten, eine Hypertrophie liegt wahrscheinlich bei 4 Punkten vor.
Parameter bzw. Befund |
Punkte |
1. R oder S in einer Extremitätenableitung > 2mV oder S in V1/V2 oder R in V5/V6 >3,0 mV |
3 |
2. Linksventrikuläre Strain-Muster (ST Segment und T Welle sind dem QRS Komplex entgegen ausgerichtet) ohne Digitalis mit Digitalis oder R in V5/V6 >3,0 mV |
3 1 |
3. Linksatriale Vergrößerung oder terminale P-Negativität in V1 >0,10 mV in Tiefe und >0,04 s in der Dauer |
3 |
4. Linksgerichtete QRS-Achse (>-30 Grad) |
2 |
5. QRS-Dauer >0,09 s |
1 |
6. Intrinsiche Deflektion in V5/V6 >0,05 1 |
1 |
Abb.: 59-jähriger Patient mit linksventrikulärer Hypertrophie bei arterieller Hypertonie. Der Sokolow-Index mit 3,4 mV negativ (bzw. grenzwertig). Für eine linksventrikuläre Hypertophie sprechen aber die Linksabweichung der QRS-Achse, die nachweisbare QRS-Verbreiterung und die präterminal negative T-Welle in V6 (als Zeichen der so genannten Linksschädigung, engl. ventricular strain pattern).
Abb.: 12-Kanal-EKG mit Hinweisen auf eine schwerwiegende linksventrikuläre Hypertrophie bei hypertropher Kardiomyopathie. Der Lewis- und der Sokolow-Lyon-Index sind positiv. Zu beachten ist eine andere Verstärkung in der Brustwandableitungen (1 mV = 0,5 cm) im Vergleich zu den Extremitätenableitungen (1 mV = 1 cm) ! Die QRS-Breite ist mit 86 ms noch normal. Es finden sich T-Negativitäten in den Brustwandableitungen.
Die Indexe, die Amplituden berücksichtigen, gelten nicht für Patienten unter 35-40 Jahren. Bei jungen Menschen ist grundsätzlich vermehrt mit falsch positiven Befunden zu rechnen.
Abb.: 39-jährige Frau mit asthenischem Körperbau. Echokardiographisch Normalbefund. Positiver Sokolow-Index (4,5 mV). Gegen eine Linkshypertrophie spricht die Abweichung der QRS-Achse nach rechts, die ausgesprochen schmalen QRS-Komplexe und die unauffällige Erregungsrückbildung linkspräkordial.
Die diagnostische Wertigkeit von elektrokardiographischen Hypertrophiekriterien wird dadurch eingeschränkt, dass die auf der Körperoberfläche resultierenden Potenzialamplituden nicht allein von der linksventrikulären Masse abhängen, sondern bedeutsam von anderen Aspekten des linksventrikulären Remodelings bei Hypertrophie (siehe oben) beeinflusst werden. Auch extrakardiale Faktoren spielen eine Rolle (Nähe der Kammer zur Brustwand, Anteil an Fettgewebe, Größe der weiblichen Brust etc.). Zu empfehlen ist, sich die oben dargestellte Sequenz der EKG-Veränderungen bei linksventrikulärer Hypertrophie zu merken. Ventrikuläre Leitungsstörungen beeinflussen das EKG-Bild bei Hypertophie. Ein linksanteriorer Hemiblock begünstigt projektionsbedingt die Hypertrophie-Diagnostik, ein Rechtsschenkelblock erschwert sie.
Die elektrokardiographische Hypertrophie-Diagnostik ersetzt nicht die Echokardiographie, sondern stellt hierzu eher eine Ergänzung dar. Praktisch relevant ist sie insbesondere bei der Nachsorge von Patienten (z. B. bei arterieller Hypertonie). Eine Regression von Linksschädigungszeichen unter antihypertensiver Medikation ist z. B. ein von anderen Faktoren unabhängiger, eine günstigere Prognose anzeigender Parameter (i. Vergleich zu Patienten, die eine solche Veränderung erst entwickeln bzw. keine Regression unter Therapie zeigen).
Weiterführende Literatur